Wissenstransfer – eine Rezension

Vor gut 20 Jahre habe ich bei SIEMENS München im Wissensmanagement gearbeitet, da ging es auch schon um „Wissenstransfer“, „Leaving Expert“ und natürlich um Analogien/Metaphern, um Brücken im Denken und in der Kommunikation zu bauen. Mit dem Besuch bei der Cogneon Academy (siehe letzter Post) bin ich wieder in die Themenwelt hineingesprungen, in der ja auffallend viel von Lernen, aber so gar nicht von ’sich bilden‘ gesprochen wird. Das kommt noch ;-).

Hängen geblieben bin bei einem Beitrag von Erlach & Mittelmann zum „Wissenstransfer“, einschließlich des gleichnamigen Buches. Grund genug, mir das Buch genauer anzusehen und – ganz klassisch – eine Rezension zu verfassen. Ahoi!

Buch: Erlach, C., Mittelmann, A., Nakhosteen, C., della Schiava, M. & Terhoeven, G. (2025). Praxis Wissenstransfer – Erfolgsstrategien und bewährte Lösungswege. Hanser: München.

Worum geht es? Dass 20 Millionen Baby-Boomer in Rente gehen, ist schon länger bekannt. Aktuelle Meldungen aus den Nachrichten machen den Bedarf noch mal anders greifbar: BOSCH entlässt über 10.000 MitarbeiterInnen, u. a., weil die Automobilindustrie lahmt. Mit dem Weggang dieser MitarbeiterInnen geht auch erfolgskritisches Wissen und Können verloren: wie man Maschinen wartet, wie man Netzwerke pflegt, wie man Menschen führt oder Aufträge akquiriert – die Liste ist lang. Mit welchen Methoden und Strategien sich dieses Wissen aus Sicht der Organisation effizient und menschlich angemessen sichern und weitergeben lässt, darum geht es beim Thema „Wissenstransfer“.

Was ist das Ziel? Das Autorenteam Erlach, Mittelmann, Nakhosteen, della Schiava und Terhoeven hat mit dem im Hanser-Verlag veröffentlichten Buch „Praxis Wissenstransfer“ seine langjährigen Praxiserfahrungen (etwa 700 Transferfälle) zum Thema gebündelt, gegenseitig validiert und macht es Interessierten aus HR, Wissensmanagement, Leadership, insbesondere aber den sogenannten Wissenstransfer-BegleiterInnen, zugänglich. Mit dem Ergebnis sucht das Autorenteam nach eigenen Angaben einen Spagat zwischen Rezept und Lexikon (S. 4).

Was ist das Besondere? Warum „Rezept“, warum „Lexikon“, warum „Spagat“? Warum sagt das Autorenteam nicht einfach, wie es geht? Nach dem Motto: Wenn eine Führungskraft das Unternehmen verlässt, dann kannst du das Wissen mit folgenden sieben Schritten sichern! Weil es eben so einfach nicht geht, denn jede Transfersituation ist so einmalig wie die Menschen, deren Wissen man „transferieren“ möchte, und das verbietet alles Rezept- und Formelhafte. Gleichzeitig muss man aus Effizienzgründen darüber nachdenken dürfen, wie man ähnliche Fälle mit gleichen Methoden bearbeitet oder mehrere Problemsituationen zu Mustern von bewährten Methoden verknüpft, was – im vorliegenden Buch – mit einer Art „Mustersprache“ gelingen soll. Mustersprache – spätestens ab hier merkt man: Das Buch richtet sich ganz besonders an die oben erwähnten „Wissenstransfer-BegleiterInnen“, die mit einem hohen professionellen Anspruch und methodischem Ethos ihrer Arbeit nachgehen.

Was bietet das Buch nun? Das Buch bietet mit seinen Methoden und Praktiken für den individuellen Wissenstransfer sowie ergänzenden Elementen zur organisationsweiten Steuerung des Themas einen umfassenden Blick auf das Phänomen und seine Anforderungen. Die Darstellung von Methoden und Praktiken folgt bewusst keinem Problem-Lösungs-Muster, einem Malen-nach-Zahlen, sondern ist in Form der genannten Mustersprache aufgebaut. Neben einer kurzen (a) Einleitung zu jeder Methode gibt es (b) eine zentrale Fragestellung, die mit (c) Spannungsfeldern verknüpft wird. Die Spannungsfelder haben vor allem die Funktion, für die oft widersprüchlichen Bedingungen einer Situation zu sensibilisieren. Erst dann wird man mit (d) der Lösung konfrontiert, zu der (e) sog. Stolpersteine genannt werden, die typischerweise in der Praxis auftreten. So vorbereitet, liest man (f) ein reales Beispiel aus der Praxis. Das Muster endet mit Verweisen auf andere Muster, um kreativen Anschluss und ordnende Abgrenzung zu ermöglichen. Nach dieser Logik finden sich dann Muster zum Wissenstransfer mit und ohne Transferbegleitung, zwischen Führungskräften, im internationalen Kontext oder in einer Neuorganisation, um nur wenige der insgesamt 49 Beispiele für individuellen und organisationalen Wissenstransfer zu nennen.

Was leistet das Buch (nicht)? Das Buch leistet mit seinen vielseitigen Beispielen aus der Praxis des Wissenstransfers in Organisationen (nicht nur Wirtschaft), einschließlich der Leitfragen und rahmenden Bemerkungen zum Wissensmanagement eine anschauliche und erfahrungsgesättigte Basis zu realen Herausforderungen und damit eine gute Orientierung für Menschen, die einen Zugang zu diesem besonderen Aufgabenfeld suchen. Leider enthält das Buch wenig Hilfen zum Einsatz von unterstützenden Technologien; die Potenziale der generativen Künstlichen Intelligenz werden gänzlich ausgespart. Für Interessierte dürfte die „Mustersprache“ anregend sein, denn die Erweiterungen einer klassischen Problem-Lösungs-Beschreibung um die Spannungsfelder und Stolpersteine nötigen zu einem eher reflexiven statt reflexhaften Vorgehen, was der Ausbildung und Kompetenzentwicklung von Wissenstransfer-BegleiterInnen Vorschub leisten kann. Allerdings gibt es auch dazu ein „Aber“: Die Mustersprache von Christopher Alexander bringt neben den Vorteilen auch große Herausforderungen mit sich. Blicken wir dazu kurz auf ein verwandtes (mir gut bekanntes) Feld: So empfinden viele HochschuldidaktikerInnen, die ebenfalls ihre Methoden intelligent ordnen wollen, die Arbeit mit den Mustern als zu „theoretisch“ oder starr; es treten auch Redundanzen auf, die vor allem die Spannungsfelder und Stolpersteine betreffen. Es wird kritisiert, dass die von Alexander eingebrachten „Lebenseigenschaften“ in seinem Originalwerk beim Transfer in andere Kontexte ausgeklammert werden, was das emergente Potenzial der Mustersprache zu kappen droht (vgl. Baumgartner & Berger, 2014). Es bleibt also in der Wissensmanagement-Community zu diskutieren, ob die Mustersprache im Buch von Erlach und Mitautoren ein nützliches Mittel ist oder ob der Theorieimport aus der Architektur eher belastet, zumal in einem Buch, das „fast ohne Theorie“ auskommen wollte (S. 3).

Frank Vohle, Hamburg

Literatur: Baumgartner, P. & Bergner, I. (2014). „Lebendiges Lernen gestalten: 15 strukturelle Empfehlungen für didaktische Entwurfsmuster in Anlehnung an die Lebenseigenschaften von Christopher Alexander“. In Lernräume gestalten – Bildungskontexte vielfältig denken, hrsg. von Klaus Rummler: 163–173. Medien in der Wissenschaft. Münster: Waxmann.

Wissenstransfer, Debriefing & Leaving Experts – Besuch bei der COGNEON Academy

Ich sitze inmitten der Nürnberger Altstadt „beim Brasilianer“, esse ein köstliches Steak und trinke dazu ein halbes Helles. Um mich herum sprechen die Menschen englisch. Das Abendlicht taucht den belebten Platz in ein Gelb. Und mit jeder Minute mehr gerate ich in den magischen Zustand, wo man nicht mehr auf Details achtet, sondern das Zusammenspiel der Sinne genießt. Ihr wisst was ich meine 😉.

Hinter mir liegt ein Weiterbildungstag bei der Cogneon Akademie; es ging um das Thema „Wissenstransfer“. Eingeladen hatte Simon Dückert, der gekonnt durch den Tag moderierte. Am Ende werde ich sagen: Cogneon denkt die Dinge zu Ende, was u.a. an der wirklich perfekten Technik des Hybrid-Formates liegt: Man sollte sich das abschauen, sonst gibt das nix mit der Online-Hochkultur!

Was habe ich vom Tag an Inspiration mitgenommen?

Zum ersten entstand in einer Pause ein interessantes Gespräch zum „Impact von KI für unsere Gesellschaft als Ganzes.“ Einer der Tn, (ein KI-Experte) sagte einen völligen Wandel der Spielregeln unserer Gesellschaft voraus; wir nahmen die Risiken in den Blick. Beispielhaft machte er das daran fest, dass die „Juniors“ durch KI eine harte Konkurrenz bekommen, was ihre Jobs gefährdet. Wenn keine Berufsanfänger mehr nachwachsen, die ihre eigene Erfahrung sammeln, haben wir ein Problem, was mit „Intergenerationenversprechen“ noch unzureichend beschrieben ist.   

Eine zweite Inspiration habe ich von Simon mitgenommen. Er berichtete im informativen Plauderton über audio-dokumentierte Expertengespräche, die mit KI transkribiert werden. Kennen wir. Neu war für mich „der nächste Schritt“: Fügt man Buchwissen z.B. zum „Impliziten Wissen“ hinzu (Polanyi & Co) können Anwender den „Corpus“ in unterschiedlicher Weise durch KI weiternutzen: sich daraus eine FAQ-Liste erstellen lassen, ein Angebot für einen Kunden generieren, einen Onboarding-Prozess in türkischer Sprache gestalten. Das Neue waren sehr unterschiedliche Anschluss-Szenarien auf der Grundlage EINES Corpus.

Die dritte Inspiration kam in der Sitzung von Christian Keller, der im Kontext eines Experten-Debriefings das Instrument „Wissenslandkarte“ vorstellte. Genauer ging es darum, ob ein MindMap durch KI auch „in Echtzeit“ generiert werden kann und sollte! Dass KI das Gespräch aufnimmt, transkribiert, visualisiert und direkt in das Gespräch zurückspielt, wurde zumindest methodisch kontrovers diskutiert. Anders herum waren wir uns einig, dass KI wunderbar dabei helfen kann, Wissenslandkarten vorzubereiten, indem sie mit spezifischen Kontextwissen angereichert werden, was der Moderation helfen kann.  

Also ein lohender Tag, der mit dem „Zusammenspiel der Sinne“ schön ausklingt. Warum ich das Essen im Einstieg so betone? Ich glaube es taugt als Analogie um tiefer zu verstehen, wie und warum Experten ihr persönliches Wissen preisgeben: Man muss in gewissem Sinne vergessen (Details), um sich an Wesentliches (Form) zu erinnern.

Werkstolz … gibt’s das noch?

Wann warst du das letzte Mal auf etwas „stolz“? Der Begriff wirkt ein wenig aus der Zeit. Ich versuche es trotzdem mal, ich war stolz als ich …

  • als Jugendlicher den Tennisball stundenlang einsam und allein gegen die Wand schlug und irgendwann zu mir sagt: Schau Frank, jetzt geht es ganz leicht!
  • als wir die Trainer-Absolventen (A-Stufe) sagen hörten: Mein Portfolio-Poster zur Projektphase ist so krass, das hänge ich mir über mein Bett.
  • als ich nach 19 Jahren Abschied aus dem Operativen von Ghostthinker nahm und sagen konnte: Wir hatten An-Teil daran, das die TrainerInnenbildung im Sport heute anders aussieht.
  • als ich neulich in der Schweiz an einem heißen Tag meine Arme in einen kühlen Brunnen hielt, die Augen schloss und tief empfunden sagen konnte: Ah, wie schön.

    Viele dieser Situationen haben einen „Anstregungskern“. Ich habe Goethe im Kopf, der sagt: „Erwirb es dir, um es zu besitzen“. Nur die letzte Situation kennt keine Leistung. Da bin ich stolz auf eine Eigenschaft, die ich geschenkt bekommen habe.

    Wahrscheinlich war AUCH aus all dem Vorgenannten etwas im Spiel, als Gabi (Reinmann) und ich den Artikel „Werkstolz mit KI“ (Impact Free) geschrieben haben. Beim Nachdenken hat eine Maschine geholfen. Das hat Konsequenzen. Vielleicht ist das ein Impuls zur neuen „Anstrengungskultur“ im KI-Zeitalter. Der aktuelle Impact Free-Beitrag ist ein Einstieg zum An- und Weiterdenken.

Metatheorie der Veränderung – Drei Aha’s und ein Autsch

Irgendwann musste ich es tun, da reicht ein Lesen und Studieren im stillen Kämmerlein nicht mehr aus, da sucht man Nähe, Anschauung und Kontakt. Mit 15 Teilnehmern (zehn Frauen / vier Männer) ging es Anfang März in Lenzburg bei Zürich in einer dreitägigen Weiterbildung darum, sich in einer Art Schnelldurchlauf der ‚Metatheorie der Veränderung‘ (MdV) zu nähern. Sarah Besel und Klaus Eidenschink vom Hephaistos-Institut hatten dazu eingeladen, sich einen „Geschmack auf die Zunge zu legen“, wie sie sagten, also in Theorie und ihre Praxis einzutauchen. Die Erwartungen waren also schwindlig hoch, die Zeit knapp und die Temperaturen im Raum lagen oberhalb der 25 Grad-Marke – insgesamt also echt heiß.

Ich möchte meine Eindrücke so schildern, wie ich sie erlebt und im Nachgang – nach etwas Erholung – verarbeitet habe. Das sind im Wesentlichen drei Aha‘s und ein Autsch.

Aha Nr. 1: Die Metatheorie der Veränderung in einem Atemzug

Die kurze Geschichte der MdV lässt sich so erzählen: (A) Den Anfang machen zwei (ontologische) Aussagen über den Zustand oder die Beschaffenheit der Welt: ‚Alles ist im Fluss‘ und die ‚Welt ist zerrissen‘; da klingelt es bei jedem, der schon mal in die Geistesgeschichte hineingeschnuppert hat. (B) Wenn alles fließt, dann ist Veränderung der Normalzustand. Aber: Menschen, die um Hilfe ersuchen, haben Probleme mit dem Festhalten, nicht mit der Veränderung. Deshalb sind die Coaches der MdV auch Experten für Stagnation, oha! Veränderung entsteht aus der Bearbeitung von Stagnationen. (C) Jede Bearbeitung einer Stagnation ist zwingend an Entscheidungen gebunden: keine trivialen Entscheidungen wie ‚gut oder böse‘, sondern komplexe, verdrehte, verwickelte wie ‚gut oder gut‘. (D) Um Stagnationen wahrzunehmen und zu bearbeiten, haben sich in der Therapie und im Coaching ‚Schulen‘ mit vielfältigen Methoden und unüberschaubaren Methodenspielarten entwickelt, die Gleiches unterschiedlich und Unterschiedliches gleich bezeichnen. Die MdV fasst diese Vielfalt in genau acht Aktionsfelder, genannt Leitunterscheidungen, zusammen, und zwar so, dass an der Oberfläche generische Begriffe und keine (trennenden) Kunstwörter zu finden sind (Bewusstsein, Selbstverantwortung, Verstehen etc.). Zu jedem Aktionsfeld kommen zwei komplementäre Ausprägungen hinzu, welche mögliche Veränderungsrichtung anzeigen, die je nach Kontext und Zeitpunkt funktional oder dysfunktional sein können (Achtung, Luhmanns Systemtheorie). In diesem Sinne ist die MdV ‚ganzheitlich‘, wozu auch gehört, dass sie von Wertungen und Normen befreit ist; ein Beobachten der eigenen Blindheiten von Coaches oder Schulen ist dadurch möglich. (E) Schlüsselorte für Stagnationen sind Bedürfnisse; die MdV macht auch hier aus der Vielzahl der in der Literatur vorhandenen genau drei Spannungspärchen (Nähe-Distanz, Freiheit-Sicherheit, Einzigartigkeit-Zugehörigkeit). Soweit mal die Idee in einer Nussschale, das ist das nackte Instrumentarium, nicht die Operation!

Aha Nr. 2: Die Welt ‚ist‘ nicht, sie ‚passiert‘

Die MdV, wie sie hier stark verkürzt wurde, ist eingebunden in eine uralte Denktradition: Seit Aristoteles weiß man, dass alle ‚Veränderung‘ oder das ‚Werden‘ durch zwei komplementäre Formen bestimmt wird: Energeia und Entelechie. Während Energeia dem physikalischen Energiebegriff entspricht und nach Ursache-Wirkung (Wirkursache) funktioniert, steht Entelechie für die ‚Verwirklichung einer Möglichkeit‘ (Zielursache). Während Energeia in der Moderne eine Erfolgsgeschichte geworden ist, steht Entelechie (wie ein Entlein) zu Unrecht im Schatten. Erst die Quantenphysik im 20. Jahrhundert machte wieder darauf aufmerksam, dass die Relativitätstheorie nicht das Maß aller Dinge ist, sondern im Subatomaren andere Gesetze gelten. Das Elementarteilchen sei weniger ein Teilchen, sondern eher ein ‚Passierchen‘, dass sich je nach Beobachtung ‚entscheidet‘, an welchem Ort es wahrscheinlich auftaucht, eben ‚passiert‘. Wenn ich all dies richtig verstanden habe, fußt die MdV auf dem Gedanken der Potenzialität von Wirklichkeit, die sich durch Beobachtung beeinflussen lässt, weswegen begriffliches Hinsehen und körperliches Hinspüren so wichtig sind. Zumindest gilt aber: Die MdV versteht man nur richtig, wenn man sie in diesem weiten Rahmen aus Naturphilosophie interpretiert (Aristoteles, Heisenberg, Weizäcker, Dürr und Konsorten), wo dann auch der Begriff der ‚Seele‘ seinen Platz hat.

Aha Nr. 3: Theorie in Aktion, die Form macht’s!

Wir sind uns alle einig: Eine Theorie, die kein Rüstzeug für eine komplexe Praxis bietet, ist bestenfalls nutzlos. Deshalb ist die MdV so, wie sie ist, mit den Leitunterscheidungen, die komplementären und wertebefreiten Ausprägungen und dem philosophischen Hinter- und Untergrund, der hier nur angedeutet wurde. Und ja, die Bearbeitung von menschlichen Stagnationen ist komplex. Komplex heißt: Es kann auch plötzlich ganz anders kommen, unerwartet, überraschend, wie aus dem Nichts, ‚Passierchen‘ halt. Da gibt’s keine richtige Planung, aber doch ein Vorbereitet-SEIN. Ich war also sehr gespannt, wie die Theorie in Aktion funktioniert, was ich davon sehe oder wahrnehme. Zur Anschauung hatte Klaus Eidenschink eine Teilnehmerin gewinnen können, mit ihm eine kleine Coachingübung zu durchlaufen. Zwei Stühle, zwei Menschen, die sich anschauen. Es folgten 45 Minuten ‚Coaching‘. Nur in der ersten Minute versuchte ich zu raten, auf welchen Aktionsfeld Klaus Eidenschink gerade seinen Schwerpunkt legte. Dann schob ich das Schaubild beiseite, lehnte mich zurück und beobachtete nicht den Coach mit seinen schwindligen machenden Einzelaktionen … einfühlsam sprechen, hartnäckig Entscheidungen einfordern, eigene Gefühle spiegeln, Gesichts- und Körperausdruck interpretieren, leichte Berührungen am Körper, Rollen- und Instanzenspiel mit Stuhl … sondern eher die Form: Im Instrumentarium der MdV war er ‚überall‘, ‚gleichzeitig‘, was man im Kurs auch als „oszillierend“ bezeichnete. Diese Oszillation ist Theorie in Aktion, eine unsichtbare Gleichzeitigkeit der Aktivierung von unterschiedlichen Potenzialitäten mit je einem sichtbaren Handlungsfokus … so, wie wenn man viele Bälle in der Luft hält (und die Form schielend beobachtet), aber nur einen Ball berührt –schwierig zu beschreiben, wie alle Spiele IN Aktion. Es ist in jedem Fall eine Kunst, langjährig erarbeitet, in unendlich vielen Sitzungen. Leichtigkeit ist ein Produkt intensiver Arbeit, so ist das nun mal. Und, hilft jetzt die MdV dabei, sich vom Novizen zum Könner zu entwickeln? Ja, denn im Modell ist die Struktur angelegt, quasi das Fahrrad mit all seinen Bauteilen. Das muss nun jeder selbst nehmen und lernen, es zu ‚prozessieren‘. Die MdV ist genau keine Beschreibung der physikalischen Gesetze, sondern sie bietet hilfreiche ‚Prinzipien‘ wie diese, dass man beim Fahrradfahren den Blick auf den Horizont halten muss (während dessen man teils Widersprüchliches wie X, Y, Z gleichzeitig tut), wenn man nicht das Gleichgewicht verlieren will.    

Autsch: „Frank, lass alle Hoffnung fahren!“

In der Weiterbildung gab es mehrere praktische Beispiele, die durch die Leitung lebendig ‚inszeniert‘ wurden: Coaching, Rollenspiele, Experimente. Der gemeinsame Kern dieser Beispiele ist, dass wir überall ‚Übergriffigkeit‘ erleben; der Chef, der in den eigenen Kompetenzbereich hineinregiert, der Freund, der sich Nähe trotz Distanzwunsch nimmt, die Mutter, die auch noch mit 65 Jahren sagt, wo es bei der Tochter langgeht … und TikTok macht den Rest. Wie selbstverständlich räumen wir ‚soziale Normen‘ (Chef helfen, kameradschaftlich sein, Mutter achten) ein absolutes (!) Primat gegenüber individuellen Bedürfnissen ein: Wir nehmen diese dann nicht wahr, relativieren sie mit Scheingründen, sprechen sie nicht klar aus oder verteidigen sie nicht kraftvoll. Ich sage: „Da muss man doch was tun! Was läuft denn da schief in Schule, Hochschule, Beruf und sozialen Medien?“ Noch ehe ich mich weiter in Rage rede, kommt dieser Satz von Klaus Eidenschink: „Frank, lass alle Hoffnung fahren.“ Stille im Raum und ich innerlich ‚oben auf‘. In den Folgetagen macht mir dieser Satz zu schaffen, ich denke nicht nur an die Frauen in Afghanistan. Ja, ich kenne Luhmanns Satz, dass wir fast nix ändern können, ich kenne die Weisheit, sich in Absichtslosigkeit zu üben und Erwartungen ‚bei sich‘ zu halten, in schlimmen Fällen auch Ohnmacht zu akzeptieren. So schafft man es, gut durch die Zeit zu kommen. Doch wo hört diese Philosophie auf und wo fängt politisches Engagement oder Zivilcourage an? Klima und Frieden sind ehrenwerte Ziele, denen man sich mit Haut und Haar verschreiben kann. Der Weg mit ihnen kann ungemein erfüllen, aber sie enttäuschen auch, mit Sicherheit! Ich vermute mal: Die MdV will Menschen in Not helfen, dafür ist sie gemacht. Sie ist keine politische Bildungstheorie – will sie nicht sein –, bei der Menschen mit der Idee konfrontiert werden, gesellschaftliche Verantwortung zu ‚tragen‘ (Menschenrechte etc.) Man muss wohl aber auch kritisch zugestehen, dass eben diese ‚normativen‘ Bildungstheorien Gefahr laufen, faktisch wenig Impact zu erzeugen, was ich erstmal als Arbeitsthese hier stehen lasse. Vielleicht könnten die Bildungswissenschaften von der MdV lernen, nicht nur, was die Handlungsregulation angeht (Empowern), nicht nur von der Werthaftigkeit der Wertefreiheit, nicht nur von der systemtheoretischen Denke in Funktionen und Prozessen, sondern auch von der Art der Theoriekonstruktion, die mindestens disparate Schulen in ein Gespräch bringt.    

Fazit: Ich mache es kurz. Die MdV ist „brillant“ (Zitat: Gunther Schmidt), aber vielleicht auch ‚elegant‘, weil sie so viel mit so wenig, aber Zentralem, ausdrückt und ich Menschen gesehen habe, die das so kraftvoll und schön praktizieren. Ich glaube, ich brauche jetzt Abstand. Nicht, weil ich das Erlebte nicht weiter anziehend finde, sondern weil ich jetzt mal in die Eigensteuerung kommen muss.

Danke Sarah, danke Klaus für liebevolle und tief informierte Impulse, für einen Geistesrahmen, der einen trägt, gerade weil er anspruchsvoll ist. Oder für die, die dabei waren: Menschen sind keine Fußbälle.  

PeaceClubs: Da spricht ein Träumer, oder?

Gestern hatte ich durch Zufall Kontakt mit meinem zukünftigen, etwa fünf Jahre älteren Ich. Dieser Frank fragte mich eher beiläufig, ob ich damals, 2025, etwas zur politischen Zeitsituation gesagt habe. Ich überlegte und musste dann zugeben, dass ich nichts, also wirklich gar nichts getan hatte: aus Unsicherheit, aus Überforderung, aus Fantasielosigkeit, aus Angst, … Angst vor was? Es gab gefühlt 101 Gründe. Beschämt über mich kam ich zurück ins Jahr 2025, habe diesen Artikel geschrieben und zumindest eine Unterschrift geleistet. Ahoi!

Dieser Post wird keine Likes erzeugen … aber anfangen muss man doch!

Ende 2023 habe ich in einer kleinen Runde erstmals von „PeaceClubs“ gesprochen. Der Idee nach ging es um Orte für junge Menschen (auch die Alten können jung sein und die Jungen unglaublich alt), die sich z.B. im Rahmen des Freiwilligen Sozialen Jahres, mit der Idee des Friedens, seiner Voraussetzungen und seiner praktischen Durchsetzung befassen sollen: in einem Dorf, einer Stadt, in einem Bundesland, landesweit und vielleicht auch in und über die EU-Grenzen hinaus. Damit das nicht in einer Art „Friedenszirkel“ mit beschwörenden Räucherstäbchen ausartet, sollten diese Clubs (a) nicht nach dem heiligen und ewigen Frieden, sondern nach Möglichkeiten der Konfliktreduktion bzw. Konfliktregulation (Realziel) suchen, (b) dabei u.a. die anspruchsvolle Herausforderung rund um „soziale Dilemmata“ in den Blick nehmen und (c) nicht nur debattieren, sondern auch praktische (Zwischen-)Lösungen in Form von „Werken“ fabrizieren. Diese Werke sollten so niederschwellig und einladend sein, dass fast jeder Mensch sagen könnte: „Da kann ich im Prinzip – wenn ich meinen Hintern hochkrieg – mitmachen!“ Zwar sind damit die Großdebatten (wir brauche eine „neue Gesellschaft“ oder gar einen „neuen Menschen“) nicht ausgeschlossen; doch zumindest ein klitzekleines Problem dieser Welt sollte besser werden, wohlwissend, dass andere Probleme janusköpfig damit wieder entstehen. Alles, einfach alles hat seinen Preis! Soweit mal, … die Idee liegt seitdem auf meinem Schreibtisch und reift wie ein Schweizer Käse.

Das mit dem „Frieden“ fiel schon 2023 für mich nicht vom Himmel.

Ich bin aufgewachsen in einer Gastronomie-Familie – mit einer Gaststätte, die 1933 gegründet wurde. Im „Deutschen Haus“ kamen in der 1990ern u.a. Kriegsveteranen zusammen (damals alle um die 70 Jahre alt), die sonntags nach der heiligen Messe am Stammtisch Erinnerungen austauschten. Es gehört zu meinen persönlichen Theken-Erfahrungen, dass Anwesende regelmäßig bittere Tränen weinten. Sie berichteten dann u.a. vom Russlandfeldzug, vom großen Leid und wie sie ihre Freunde im Schnee zurücklassen mussten. Diese emotionalen Ausbrüche kamen also 50 (!) Jahre später noch wie aus dem Nichts herausgeschossen, was viel über seelische Wunden und Spätfolgen von Kriegen verrät. Solche Szenen endeten dann mit der Mahnung: „Nie wieder Krieg, unter keinen Umständen, hört ihr!“. Alle am Tisch schwiegen daraufhin und mir kroch dieses „stille Schweigen“ als junger Mann tief in die Knochen.  

Neben diesen Kriegsgeschichten gibt jetzt noch eine Reihe weiterer „Erfahrungen“, die in diese Richtung gehen: Der ohrenbetäubende Knall einer Handgranate, die ich als junger Funker bei der Bundeswehr werfen musste; die olympische Friedensbotschaft zum „gegenseitigen Respekt“ eines Pierre de Coubertin, die ich als Mitarbeiter an der Sporthochschule Köln erstmals mitbekam; die systemtheoretisch inspirierten Schriften von Sven Güldenpfennig, mit der Friedensmahnung, dass man im Sport „nur“, aber immerhin (!), lernt, trotz stärkster körperlich-emotionaler Grenzerfahrungen (z.B. Boxen, voll auf die Fresse) regeltreu zu bleiben; oder schließlich der gesellschaftliche „Friedensdienst“ zur Stärkung des Ehrenamtes im Sport durch Digitalisierung, den ich als Berater über fast zwei Jahrzehnte begleiten durfte.

Und? Was soll das jetzt, dieser lange Anlauf?

In einer Zeit, in der die Nachrichten von kriegerischen Übergriffen, Bombardements, Drohneneinsätzen, getöteten Männern, Frauen und Kindern nicht abreißen, Kinder diesseits und jenseits der Grenze, die Unschuldigsten auf beiden Seiten also, in der man sich im Zeichen der Zeitenwende darauf eingeschworen hat, Waffenlieferungen „immer mehr“ und Sanktionen „immer stärker“ seien die Mittel der Wahl, um Frieden zu sichern – eine Zeit, in der man als einfacher Mensch immer schwerer ein Argument findet, zu dem nicht auch ein gleich schweres Gegenargument passt, in der das Nachdenken und öffentliche Sprechen über Frieden als naiv disqualifiziert werden – wie sicherlich auch hier; eben in dieser Zeit ist es wichtig, über Frieden in wirklich all seinen Dimensionen (!) (im Zusammenhang auch von Klima, Armut, Wohlstand etc.) nachzudenken und nachzuforschen, darüber zu sprechen, um mögliche Schweigespiralen zu durchbrechen und idealerweise auch etwas Konkretes zu tun, auch dann, wenn dieses Tun zunächst keinen sichtbaren „Impact“ hat.

Ich ende heute mit einem konkreten Vorschlag, sich zumindest das einmal anzusehen: Das SPD-Manifest mit einer Friedenstaube im Logo ist KEIN Aufruf zu einem „reinen“ Pazifismus, wie ihn im Übrigen Albert Einstein vertreten hat. Auf den zwei Seiten geht es um eine Friedensordnung auf dem europäischen Kontinent, mit all jenen, die hier leben und zusammenleben müssen. Es geht in diesem Manifest um die Stärkung unserer Verteidigungsfähigkeit ohne fixe 5% Bindung und es geht um radikale Dialogbereitschaft, auch dann, wenn damit Nachteile verbunden sind.

Ich habe das Manifest unterschrieben, auch wenn man den Menschen, die das tun, „Realitätsverweigerung“ (Pistorius) vorwirft. Apropos Realität: Ich weiß, dass die klügsten WissenschaftlerInnen der Welt darüber streiten, wie man Realität überhaupt feststellt und noch mehr darüber uneins sind, was man tun muss, um bestimmte Ziele zu erreichen. Ich bin also in guter Gesellschaft, ich bin unsicher und gerade deshalb muss man anfangen.

Friedensarbeit hat eine lange Inkubationszeit.

Context Counts

Kürzlich war ich zu Besuch in einer Kleinstadt im schönen Oberbayern. Der Abend wurde zufällig frei, weil meine Freundin dort nicht konnte. Also, was machen, in einer „Kleinstadt“? Da der Tag anstrengend war, fiel die Wahl auf Sauna; Entspannung ist ja immer gut. Fußläufig vom Bahnhof gibt’s eine Art Yogakurs-Fitness-Massage-Sauna-Physiotherapie-Center, also etwas von allem, für alle.

Pünktlich um 19 Uhr rief der Saunameister „Aufguss jetza!“ Es versammelten sich ca. zehn Personen im Alter zwischen 40 und 65, keine Fitnessmädels oder Muskelmänner, sondern Normalgewachsene wie du und ich. Man sitzt kuschelig hier in Bayern, man kennt sich. Als der dickbäuchige Saunameister die Tür von innen schließt, geht ein wohlwollendes Lächeln durch die Runde, als ob ein Programm beginnt. Ich selbst, Hamburger Ausländer mit Sauerländer Zungenschlag weiß von nix.

Nun folgt etwas, was ich dem Internet nur in Andeutungen anvertrauen darf. Der besagte Saunameister steht inmitten der Saunisten, sein Bauch ist 50 cm vor meinem Gesicht. Das Gesamtprozedere ist rein äußerlich durch drei Aufgüsse organisiert. Es beginnt mit: „I’hab eich bissl kristl-med mitgebracht, woos füers näsle“, er meint Duftkristalle mit Eukalyptus, die er auf die heißen Steine streut und mit einer dicken Wasserkelle beschüttet. „Kennt ir den?“ … fragt er auffordernd. Ohne auf die Antwort zu warten, fährt er mit einem Witz, oder besser mit einer Witzsalve, fort. Die Witze enthalten alles, wirklich alles, was auf der roten Liste steht oder was man aus Wirtshausszenen kennt: Wilde Sexualpraktiken, Chauvinistisches, Behinderungen aller Art, diese Ausländer … die Liste ist lang. Jeder Witz wird vom Publikum mit einem lauten Lachen honoriert. Ich mittendrin, synchronisiere mich mit dem Lachen, um nicht aufzufallen.         

Unweigerlich denkt man: Saunen in Bayern sind das Letzte! Zur Ehrenrettung sind nun drei Elemente wichtig: Es handelt sich hier um ein eingespieltes Team, Sprecher und Zuhörer befriedigen ihre Erwartungen, keiner wird verletzt. Im Raum sind echte Ausländer, die im gebrochenen Deutsch Witzfragmente lachend wiederholen oder eigene Interpretationen anschließen. Ich wette, keiner hier in der Sauna ist „da draußen“ diskriminierend oder ausgrenzend oder im Sprechen irgendwie billig. Das, was IM Raum „gespielt“ wird, ist nicht mit Maßstäben zu betrachten, die außerhalb des Raumes als ethisch korrekt gelten oder zum guten Ton und Umgang gehören.

Wie geht man jetzt mit sowas um? Die erste Variante ist die, dass einem das alles wurscht ist. Punkt. In der zweiten Variante regt man sich schrecklich auf, weil so etwas, egal wo, einfach nicht geht (Universalmoral). Die dritte Variante akzeptiert Sonderräume, in denen die Universalmoral „auf Zeit“ außer Kraft gesetzt ist (sie gilt weiterhin, nur eben draußen) und eine andere Moral leitend ist, die eben das Spiel dieses Sonderraums regelt. Das kann dann zu einer Art A-Moral führen, die aus gesellschaftlicher Perspektive verwerflich, für die Beteiligten aber hochfunktional ist.

Und, darf man das nun, über sowas lachen? Ich denke ja, rein pragmatisch, weil wir sonst alle Saunen in der Republik schließen könnten, denn auch anderswo geht es fröhlich zu. Aber eben auch, weil eine Gesellschaft nur durch solche kulturellen Sonderräume funktioniert. Das gilt im Großen, wenn wir uns die „böse“ Wirtschaft oder den „verschwenderischen“ Theaterbetrieb oder den „unmoralischen“ Sport anschauen oder im ganz Kleinen, in der Sauna, in der Menschen über Dinge gelacht haben, die ihnen draußen, im echten Leben, zu Recht die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätte. Context Counts.

„Leben ist Töten“ … Nahaufnahme eines Redners

Eher durch Zufall war ich im März auf der Internationalen Tagung der Erich Fromm Gesellschaft, die in Bad Marienberg den 125. Geburtstag des Namensgebers feierte. „Fromm“, die Älteren erinnern sich: Die „Kunst des Liebens“ sowie „Haben oder Sein“ waren Büchlein, die man in der Jugend pflichtgemäß las oder verschlang, je nach Einstellung.

Anlass und Grund dieser Reise war kein aufflammendes Fromm-Interesse, obwohl die Zeiten danach schreien, sondern ein Vortrag von Klaus Eidenschink, der dort als Redner aufgeführt war. Für alle die es nicht wissen: Eidenschink ist ein „Wanderer zwischen den Welten“, Coach und Coach-Ausbilder mit eigenem Institut in München, von Haus aus Theologe, seit Jahrzehnten aber in Systemtheorie und Psychologie (und weiteren Hilfswissenschaften) zuhause. Von ihm stammen Bücher wie „Die Kunst des Konflikts“ oder „Entscheidung ohne Grund“ oder das „Verunsicherungsbuch“, die alle mit Gewinn lesen können, die mit Menschen zusammenarbeiten und dafür Verantwortung tragen. Ich denke man kann ihn als Meta-Theoretiker des Coachings (er hat eine eigenen Metatheorie zusammengestellt) oder intellektuellen Provokateur bezeichnen, der gern mal den psychologischen Mainstream gegen den Strich liest, … und schaut was passiert.  

Nun also Eidenschink – erstmals live vor meinen Augen – morgens 09.00, erstes Referat, Titel „Die Anatomie konfliktdynamischer Destruktivität“. Im ersten Teil ging er auf das Thema Konflikt ein: Was ist das? Wie entsteht er? Aber auch eher beiläufig, … „warum ich nicht vom Frieden rede.“ Man merkte schnell, Systemtheorie, Luhmann, gar nicht mal im komplizierten Sprechen, sondern im klaren Denken, neutral beschreibend, kein Evangelium, sondern zweiwertigen Pole, um zu sehen, was der Fall ist, ehe man interveniert. Weil die ZuhörerInnen für gewöhnlich in ihren Denkbahnen verharren – kopfnickend, zustimmend – zwischendurch kleine Bomben wie: „Leben ist Töten“ oder „Konfliktfreie Kommunikation, da halte ich nix von“. Solche Sätze „sitzen“, wir sind auf der Erich Fromm-Tagung, das Publikum seit Jahrzehnten geschult in allen Friedenstechniken und Konfliktvermeidungshaltungen 😊. Bricht der Widerstand offen zutage, ist Eidenschink hellwach und schnell dabei, die Stelle zu kitten, nicht durch eine Beschwichtigung, sondern z.B. mit dem Hinweis, dass jede Entscheidung eben AUCH Möglichkeiten ausschließt oder im Bild: Wenn der Zen-Meister durch den Tempel geht, tötet er Milben. Jedwedes Handeln hat Folgen und Nebenfolgen und damit auch das – gerade das –, was mit guter, friedlicher Absicht geschieht. 

Was mir bei Eidenschink gefallen und warum sich die Anwesenheit gelohnt hat: Dieses eigentümliche Sprechen mit einer inneren Leinwand, die Augen nach oben gerichtet, entrückt, aber bei sich, mit beiden Händen nach etwas greifend und jonglierend. Eine Sprechsequenz geht in etwa so: (1) Luhmannischer Einstieg, für den Ungeübten immer etwas befremdlich, z.B. „doppelte Kontingenz“, schwer zugänglich, bestenfalls hat man eine Ahnung. (2) Dann das Entgegenkommen mit einer bekannten Redewendung, bei ihm im bayerischen Grundton, in der das Gemeinte intuitiv anschaulich wird. (3) Jetzt ganz beim Publikum, ergänzend und mit Humor vorgetragen noch eine Art schauspielerischer Szene, z.B. „Frau kläfft, weil Mann ins Wirtshaus geht“, an der dann wieder etwas Abstraktes wie „zirkuläre Kausalität“ erklärt wird, … das Lachen im Publikum geht dann fließend in ein Nachdenken über: Abstraktum, Redewendung, Spielszene vermischen sich zu einer sinnigen und sinnlichen Figur. Ende der Sequenz, Ende der Beobachtung.  

Qualitätsgetrieben

Am Freitag (21.03.) habe ich wieder einmal einen Vortragsimpuls beim Referent*innen-Team des Deutschen Fußball-Bundes (#DFB) am schönen Campus in Frankfurt gegeben. Es ging darum, wie man Phasen von Lehrprojekten (z. B. Planung, Durchführung, Reflexion eines Lehrgangs) begleitet und wie man das mit wissenschaftlicher Brille begründen kann. Entsprechend spielten #Situierung und #Didaktik eine große Rolle (so wie es im Übrigen auch in der Schweizer Berufsbildung #EHB geschieht). In der anschließenden Diskussion in der Runde der Ausbilder*innen wurde deutlich, dass Qualitäts- und Ressourcenfragen immer unter Spannung stehen. Man muss hier also offen darüber sprechen, was unter ehrenamtlichen (!) Bedingungen möglich, wünschenswert und machbar ist.

Dennoch: Es ist für mich immer wieder erstaunlich, was das DFB-Referent*innen-Team da „an Qualität“ auf den Weg bringt: ein aus Kompetenzsicht anspruchsvolles und fußballspezifisches Konzept (#DOSB-Kompetenzmodell, DFB 4-Klang), ein Blended-Learning-Format, in dem synchrone und asynchrone Aktivitäten via DFB-Online-Campus (edubreak) gut zusammenspielen, mit selbstgesteuerten Phasen und kriterienbasiertem Feedback von Coaches, bei dem Social Video Learning selbstredend nicht fehlen darf.

Ich sage mal so: Kein anderer (mir bekannter) Verband ist so „qualitätsgetrieben“, zumindest in der Ausbildung von Ausbilder*innen. Ich war erstmals unter meiner neuen Flagge „DIDAKTIKBÜRO Hamburg“ dort, aber ich habe das Gefühl, dass es den Menschen wurscht ist, wie ich mich beflagge. Sie sagen: „Frank, wir sind froh, dass du da bist.“ Damit kann man mit leben, oder?

20 Jahre Ghostthinker :-)

Anfang März 2005 habe ich die Ghostthinker GmbH gegründet (genau am 02.03.2005 war die Eintragung im Handelsregister beim Münchener Amt) – jetzt ist Ghostthinker 20 Jahre alt geworden. Daran faszinieren mich, als immer noch Gesellschafter, mehrere Dinge: Zum ersten bewahrheitet sich, wie rasend die Zeit vergeht – 20 Jahre, fast ein Vierteljahrhundert! Zum zweiten zeigt sich, dass „Unternehmertum in Deutschland“ möglich ist, auch in steilen Bereichen wie Education & Technology. Und drittens beglückt mich, dass sich in der Sportbildung (Trainerinnen und Trainer u.a.) ein anspruchsvoller und begründungsbedürftiger Kompetenzansatz (mit Social Video Learning als Kern) behaupten konnte, entgegen vielen Widrigkeiten (leichter, billiger, schneller geht’s scheinbar immer). 2025 haben 60.000 SchiedsrichterInnen des Deutschen Fußball Bundes (vgl. Schiri-Zeitung) „Ja“ zu edubreak gesagt, denn edubreak ist nicht eine nackte Technologie, sondern eine technologiebasierte Didaktik mit eingebetteter Beteiligungskultur: Beteiligung ist intensiv, soziale Beziehungen brauchen Zeit, mentale Anstrengungen bedeuten Schweiß, aber man bekommt auch viel und für den TrainerInnen-Job Wesentliches zurück. Wichtig ist, was langfristig unterm Strich herauskommt, der Social Impact. Wer heute so denkt, wird entweder schief angeschaut oder gefeiert. Heute kann gefeiert werden. 

Ich bin kein Repräsentant

Ich habe eine Reise nach Berlin hinter mir. Anlass war eine „Erkundungsaufstellung“ zu „Inner Work“, die von Prof. Georg Müller-Christ und Dr. Josef Merk angeboten wurde. Ich kenne Georg (nach einem gemeinsamen F&E-Projekt) und seine Aufstellungsarbeit nur aus der Ferne, also via seiner LinkedIn-Beiträge und aus einer Online-Session, in dem ich das Grundprinzip nachvollziehen konnte. Ich selbst bin also erfahrungsfrei; das sagt man, wenn man von Tuten und Blasen keine Ahnung hat, aber genau in dieser Unbeschriebenheit eine Ressource für den Tag sieht.

In einem großartigen (aber unangestrengt lässigen) Loft am Berliner Ostbahnhof ging es mit ca. 20 Personen – wir waren 3 Männer – in den Tag, der durch wenige Slots grob gegliedert war. Gestartet wurde mit einem „Check-in“, bei dem jeder/jede – nach einem kurzen Austausch mit dem Sitznachbarn – die eigene Erwartung sagen konnte. Ich war kurz: Ich wollte eine Erfahrung machen, die mich aus der Bahn wirft, also Bahnbrechendes 😉.

Ich überspringe jetzt mal die einleitenden Impulse durch Josef und Georg und komme gleich zur ersten Erkundungsaufstellung, und die ging so: Vier Personen, die sich freiwillig meldeten, verließen den Raum, so dass sie nichts hören und sehen konnten. Währenddessen erklärte uns Georg inmitten einer großen Stuhlkreisfläche, dass es vier Rollen gibt (Angestellter weiblich, Angestellter männlich, Führungskraft weiblich, Führungskraft männlich), die mit den Buchstaben A-D symbolisiert und wiederum durch ein Schild visualisiert werden. Zudem war im Stuhlkreis ein Stuhl mit der Zahl „1“ und räumlich gegenüber einem Stuhl mit der Zahl „2“ eingeschoben; die Zahlen symbolisierten die leitenden Zwecke bzw. Handlungsmotivationen im Unternehmen, nämlich Fremdbestimmung und Selbstbestimmung. Schließlich wurden, ebenfalls symbolisch, vier Kontexte unterschieden, in denen die Akteure durch verschiedene „Reifegrade“ an Inner Work einen Unterschied machen sollten. Nun wurden die vier Personen von draußen in den Stuhlkreis geholt. Jeder der Vier konnte sich einen Buchstaben schnappen und gut sichtbar an den Oberkörper hängen. Vor mir im Stuhlkreis waren also vier Personen mit Buchstaben zu sehen und links und rechts stand je ein Stuhl mit der Zahl 1 und 2. Soweit zur Struktur.

Die Erkundungsleitung (EL) forderte die „Repräsentanten“ (R) auf (das waren die Personen mit den Buchstaben, weil sie verdeckt Rollen repräsentierten), sich im Raum zu positionieren, so dass es für sie „passend“ sei. Die „R“ positionierten sich. Die EL stellte daraufhin Fragen, die „R“ Aussagen zur Positionierung ablocken sollten. Dieser Prozess wurde mit Kontext zwei und Kontext drei wiederholt, was u.a. zu veränderten Positionierungen im Raum und Äußerungen der R führte. Bevor Kontext vier erkundet wurde, sollten alle R die Kreisfläche verlassen und dann mit „kollektiven Inner Work-Bewusstsein“ (was das genau war, blieb offen, aber wohl eine Art von gemeinsam gelebter Inner-Work-Praxis) erneut eine Position im Raum suchen und eine Aussage dazu machen.

Was wir da sehen konnten, war ein komplexes, zumindest aber vielschichtiges Zusammenspiel aus R (mit verdeckten Rollen), mit Stühlen als Bezugspunkten (verdeckte Handlungsmotivationen) und je verschiedenen Kontexten (offene, d.h. bekannte Bewusstseinsgrade zu Inner Work) – es war eine „Simulation im Raum“, was vor allem Gleichzeitigkeit und Situierung, aber eben auch „Sichtbarmachung von Verdecktem und Verborgenen“ bedeutet. 

Um sich das, was sich da „gezeigt hat“ (nicht gezeigt wurde!), zu deuten, gab es im Anschluss Kleingruppenarbeit, bei der man zunächst das Gesehene neutral beschreiben sollte: z.B., „dass die beiden Führungskräfte auffällig oft in der Nähe der Stühle gestanden oder gesessen sind oder dass der männliche Angestellte auffällig oft in der Zwischenposition von Stuhl 1 und 2 war.“ In einem zweiten Schritt sollte man diese Deutungen erweitern, indem man Sätze mit „könnte“ (Konjunktiv) formulierte, die darauf abstellten, „mögliche Optionen zu erkunden“. Da war also der Kern, worum es ging oder besser, was ich verstanden habe: Nicht sichtbare oder übersehene oder für unwahrscheinlich gehaltene oder gar emotional abstoßende Optionen von Rollen-Motivation-Kontext-Mustern entspannt in den Blick zu nehmen, als eine neue Möglichkeit von Wirklichkeit.

Ich will in diesem Beitrag jetzt nicht um den Nachmittag ergänzen, bei dem ich selbst „Repräsentant“ war, zwar in einer ganz anderen Übung, aber immerhin. Es wird sonst hier zu lang. Vielmehr komme ich jetzt zu dem, was ich aus dem Tag mitgenommen habe.

In der großen „Abschlussrunde“ – heute Check-out – war man sich einig: Fast alle fühlten sich reich beschenkt, mit Impulsen für die eigenen Arbeit, mit mehr Motivation und Klarheit, und verabschiedeten sich mit Dank an alle Anwesenden für Offenheit und Gespräche. Ich sagte „fast alle“. Ich war der Einzige, der andere Erfahrungen gemacht hatte, nichts Bahnbrechendes, wie anfangs erwartet, aber von so einem hohen Ross kann man auch nur runterfallen. Um es vorwegzunehmen: Der Tag war professionell organisiert, die Impulse originell und informiert, die Gespräche aufschlussreich. Es hat sich also gelohnt, zumal die Tagungskosten von unter 200 € eher im Bereich des Ehrenamtes liegen. Zu dieser Bilanz gehört aber auch, dass ich jetzt mehr Klarheit darüber habe, was ich nicht will: Inner Work mit Erkundungsaufstellung. Der Hauptgrund der Nichtpassung für mich ist, dass der Körperleib zu wenig zur Sprache kommt, seine Sprache, eine spezifische Wahrnehmung, die wir im Nachgang denkend erfassen können, wenn es gut läuft, wenn nicht, ist es auch gut, vielleicht sogar besser. Ich erkenne zwar das heuristische Potenzial der körperinduzierten Symbol- und Unterscheidungsarbeit via Repräsentanz und Metakognition zur Erweiterung des Möglichkeitsraums, denn das ist, was ich unter Erkundungsaufstellung verstehe, aber für meinen Kopf ist das zu viel Symbol, Stellvertretung und externer Verweis, zu viel Denken über Denken. Wahrscheinlich suche ich nicht nach einem Mehr an Erkenntnis, sondern nach anderen Formen der Resonanz, nicht nach wahrem oder nützlichem Wissen, sondern Formen des Gewahrwerdens, die mir (und anderen) neue Denkmöglichkeiten, Selbstzugänge und Handlungsweisen zeigen und erlebbar macht.